Mein Beitrag zur Blogparade #femaleheritage bringt drei Beispiele regionaler Erinnerungskultur zusammen, die Frauen in den Mittelpunkt rückt. Ich nehme dazu Beispiele aus der Grafschaft Bentheim und dem benachbarten Landkreis Emsland.
Den Schwerpunkt möchte ich auf die derzeitige (coronabedingt geschlossene) Ausstellung „FrauenPower – jenseits der Enge“ des Otto-Pankok-Museums in Bad Bentheim richten. Außerdem möchte ich über FrauenORTE des Landesfrauenrats Niedersachsen berichten und zuletzt einen geplanten Museumsanbau, der den Nachlass einer Shoa-Überlebenden museal und pädagogisch aufbereitet zeigen soll.
FrauenPower – Die Ausstellung
Das Otto Pankok Museum in Bad Bentheims Ortsteil Gildehaus ist klein, aber seit fast 25 Jahren ein Begriff für Kunst- und Kulturinteressierte, wegen seiner Ausstellungen, die auch überregional wirken. Mit seiner ursprünglich bis Ende Januar geplanten Herbst-/Winterausstellung – eine Anfrage an die Leihgeber für eine mögliche Verlängerung läuft – widmet sich das Museum erstmals ausschließlich Frauen. Sonst überwiegend der Kunst als Schwerpunkt verpflichtet, arbeitet das Museum wiederholt eng mit dem Landkreis Grafschaft Bentheim zusammen, um zusätzlich Themen von hiesiger Bedeutung aufzuarbeiten. In diesem Fall wurde das Augenmerk darauf gerichtet, Frauen vorzustellen, die in der Grafschaft gewirkt und Besonderes geleistet haben.
Die fünf Frauen beschritten – jede für sich – einen Weg jenseits der ihnen durch klassische Rollenmodelle vorgegebenen Pfade und setzten Zeichen. Ergänzt wird die geballte FrauenPower durch künstlerische Frauenporträts, die zwischen 1880 und ca. 1980 entstanden. Das spiegelt ungefähr das Jahrhundert, in dem die fünf zwischen 1879 und 1903 geborenen Frauen lebten.
Alle fünf Damen eint, dass sie gleich mehrfach großen politischen Wandel miterleben, der sie prägte. Geboren in der Kaiserzeit mussten alle nach dem Ersten Weltkrieg und der Weimarer Republik auch noch den Zweiten Weltkrieg durchleben. Das Konzept sieht vor, dass die Objekte zu jeder Person jeweils ergänzt werden durch zwei einrahmende Banner. Eines zeigt ein Foto aus jungen Jahren und den Lebenslauf, das andere Banner bringt ein Foto aus späteren Jahren und möglichst ein Zitat aus dem Schaffen der Frauen. Durch die Abstands- und Hygieneregeln sind Laufwege im Museum seit Mai 2020 verändert, das Ausstellungskonzept trägt dem Rechnung. Jede der Frauen, denen in der Ausstellung gedacht wird, möchte ich kurz vorstellen.
Der Besucher begegnet zuerst Maria Niehues (1879–1962). Die älteste der Fünferreihe war weitaus mehr als nur die “Frau von” Bernhard Niehues, dem Gründer der großen Nordhorner Textilfirma, die als NINO einst Weltruf genoss. Maria Niehues war stets nicht nur den Arbeitern der Firma freundlich zugewandt, sondern sehr aktiv, wenn es um die Unterstützung Hilfsbedürftiger ging. So zeigt eine Skizze des regional wohlbekannten Malers Hans Ohlms sie bei einer typischen Handlung: Dem Packen von Paketen für Bedürftige. Ihr Engagement brachte ihr im Volksmund den Beinamen „Mutter Maria“ ein. Sie lebte den Gedanken, dass Wohlstand zum Geben verpflichtet und beeinflusste damit andere in ihrem Umfeld.
Für Prinzessin Victoria zu Bentheim und Steinfurt (1887–1961), benannt nach ihrem Großvater väterlicherseits, schien der Weg als Tochter des Fürstenpaares vorgezeichnet. Doch sie setzte für sich anderes durch: Nicht nur ihr Abitur durfte sie zu einer Zeit ablegen, als dies für Frauen noch sehr unüblich war, sondern sie erkämpfte sich auch die Möglichkeit, ein Studium zu absolvieren. Unterstützerin ihrer Bildungsanliegen war unter anderem auch ihre Tante, die Königinmutter Emma der Niederlande.
Als Architektin zog Victoria zu Bentheim und Steinfurt sich aus dem fürstlichen Umfeld zurück, heiratete nicht und ließ ihre Arbeiten für sich sprechen. Obwohl sie, vermutlich auch zum Erhalt von weiteren Aufträgen, Mitglied der NSDAP war, riskierte sie Kritik wegen ihres mangelnden Einsatzes für die Partei. Ferner machte sie ihr Haus in Mittenwald sogar zur Unterkunft für geflüchtete Juden.
Sie ist eine der 22 Architektinnen, deren Arbeiten in der in Frankfurt a.M., Hamburg und zuletzt in verkleinerter Form in Düsseldorf gezeigten Ausstellung „Frau Architekt” näher beleuchtet wurden.
Die dritte vorgestellte Frau ist Erika Lichte (1900-1947), die in Frenswegen bei Nordhorn aufwuchs. Als sensible Dichterin und begabte Liedermacherin suchte sie sich in frühen Jahren einen eigenen Weg zur Entfaltung. Ihr Mann, der Pastor Johannes Friedrich Niemann, war von ihrer Arbeit überzeugt und bewahrte ihre Notizbücher auf, nachdem Erike Lichte mit nur 47 Jahren in Schleswig-Holstein verstarb. Den begonnen zweiten Lyrikband, eine Zusammenarbeit mit dem Schweizer Künstler René Bellincourt, konnte sie nicht mehr beenden.
Die junge Nordhornerin Lucie Rakers (1905-1993), die sich mit ihren Gedichten insbesondere unter den Liebhabern plattdeutscher Literatur einen Namen machte, war eine Bewunderin der frühen Arbeiten Erika Lichtes. Ihre eigenen Arbeiten wurden breit rezipiert und mehrfach veröffentlicht. Dass sie sich nach dem zweiten Weltkrieg für den ehemaligen NS-Funktionär Wilhelm Frantzen einsetzte und beide sich nach 1945 nie entschieden von der nationalsozialistischen Ideologie abgrenzten, bleibt ein dunkles Kapitel ihrer Lebensgeschichte. Hier möchte das Museum einer unkritischen Verklärung von Lucie Rakers entgegenwirken und schneidet das Thema bewusst unterschwellig mit an, um zum Nachdenken und zur Auseinandersetzung mit Rakers anzuregen.
Wand Erika Lichte Blick Raum 2
Zuletzt geht es in der Ausstellung um Emma Bodenkamp. Sie kam als junge Landwirtin 1927 durch Heirat nach Samern (Obergrafschaft). Hier nahm sie eine Vielzahl von Rollen an. Neben den drei damals erwarteten Aufgabengebieten als Ehefrau, Mutter und Bäuerin wurde sie weit mehr. Emma Bodenkamp war zugleich auch engagierte Ausbilderin, Vereinsgründerin und Funktionärin. Zu ihren größten Verdiensten zählt die Gründung des ersten Landfrauenverbands der Grafschaft und damit der Etablierung der landwirtschaftlichen Schule in Bentheim. Der Geschichte der Landfrauen in der Grafschaft Bentheim und ihrer emanzipatorischen Funktion widmet sich die Ausstellung ebenfalls.
Die im Museum zusätzlich gezeigten Frauenporträts verschiedener Künstler*innen spiegeln nicht nur verschiedene Techniken und Kunststile, sondern auch die Jahrzehnte wider, in denen sich das Leben der Powerfrauen/FrauenPower in der Grafschaft abspielte. Da prallen z.B. farbenfrohe Drucke selbstbewusster New Yorker Frauen aus der Hand Roy Liechtensteins auf die im Aufbruch befindlichen Landfrauen, die sich ihre Freiheit und Bildung ebenso selbstbewusst zu erkämpfen wussten.
Frauenorte Niedersachsen
frauenORTE Niedersachsen ist eine Initiative des Landesfrauenrates Niedersachsen e.V. und lehnt sich an eine Idee aus Sachen-Anhalt an. Ihr Ziel ist es, das „Leben und Wirken historischer Frauenpersönlichkeiten lebendig werden zu lassen und einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen. Mit der Initiative sollen die frauengeschichtliche Forschung und Vermittlung gestärkt und Bezüge zu aktuellen gesellschaftlichen Debatten hergestellt werden. Die Initiative will auch dazu beitragen, dass Frauengeschichte und Frauenkultur einen festen Platz im Spektrum kulturtouristischer Angebote erhält.“ [Quelle: Kriterienkatalog]
Knapp 50 dieser Auszeichnungen hat die Auswahlkommission des Landesfrauenrats Niedersachsen e.V. seit 2008 vergeben.
Während in der Grafschaft Bentheim bislang noch kein Ort eine offizielle Aufnahme in die Liste geschafft hat, aber aktiv daran gearbeitet wird, ist das benachbarte Emsland bereits mit zwei sehr unterschiedlichen Frauen vertreten. Haren (Ems) gedenkt Schwester Kunigunde, deren mutigem Einsatz entgegen anderslautenden Befehlen es zu verdanken ist, dass der Ort am Ende des Zweiten Weltkriegs gewaltfrei an die kanadischen Truppen übergeben wurde. Kulturtouristisch aufgearbeitet wird das Wissen rund um Schwester Kunigunde (bürgerlich Theresia Schepers) unter anderem durch einen Geocache.
Das kleine emsländische Dorf Messingen (Samtgemeinde Freren) hebt eine Tochter des Ortes hervor. Die 1884 in Messingen geborene Mathilde Vaerting war ab 1923 die erste Professorin für Pädagogik in Deutschland. Besucher des frauenORTEs Messingen können unter anderem eine auf mehreren Tafeln angebrachte aufschlussreiche Ausstellung zu Vaertings Leben und Wirken am Heimathaus betrachten.
Die verstärkte Auseinandersetzung mit und der neue Blick auf Frauenpersönlichkeiten im eigenen Bundesland macht die frauenORTE zu einer Einrichtung, die eine Identifikation von Frauen mit ihrer Heimat stärkt.
Ein Anbau als Lehr- und Erinnerungsort
Im Dezember 2012 verstarb die Shoa-Überlebende Hella Wertheim in der Grafschaft Bentheim. Fünf Jahre zuvor erhielt sie das Bundesverdienstkreuz für ihr Lebenswerk. Die 1928 in Insterburg (Ostpreußen) geborene Wertheim überstand den Aufenthalt in drei Konzentrationslagern (Theresienstadt, Auschwitz und Lenzing/Österreich), verlor aber unter anderem ihre Eltern. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam sie über Umwege in den Bad Bentheimer Ortsteil Gildehaus, wo sie 1946 heiratete. Bis zum Tod ihres Ehemanns erzählte sie jahrzehntelang nach außen hin nie über ihre Erlebnisse in den Konzentrationslagern. Erst spät in ihrem Leben begann sie damit, Vorträge zu halten. Das 1992 erschienene Buch „Immer alles geduldig ertragen“ half ihr ebenso dabei, gegen Verdrängen, Verharmlosung und Vergessen in der Gesellschaft anzugehen. Eindringlich, aber ohne Vorwürfe oder Groll verstand sie es, ihr oftmals sehr unterschiedliches Publikum zu erreichen. Zu den Gegenständen, mit denen sie ihr Erlebtes „begreifbar“ machen konnte, zählt ihre aufbewahrte Streifenjacke mit der Nummer Nr. 827 aus dem letzten KZ. Neben ihren Auftritten war sie auch eine der Beteiligten an der Dokumentations CD-ROM „Erinnern für Gegenwart und Zukunft“ (Cornelsen Verlag, 2000) für deutsche Schulen.
Schon kurz nach Hella Wertheims Tod setzte sich ihre Nachlassverwalterin dafür ein, Objekte von sowie Ton- und Filmaufnahmen mit ihr in angemessener Form und mit pädagogischer Aufarbeitung zu präsentieren. Ihr war es von Beginn an wichtig, den Nachlass Hella Wertheims möglichst in dem Ort zu zeigen, der ihr nach allem erlebten Grauen in nationalsozialistischer Zeit zur neuen Heimat wurde. Es geht hierbei explizit nicht um eine Überhöhung einer Einzelperson, sondern um ein exemplarisches Schicksal von vielen, von denen nur einige wenige Überlebende als Zeitzeugen berichten können und konnten. Erna de Vries hat im Emsland über viele Jahre die gleiche Aufgabe übernommen, doch lässt es ihre Gesundheit inzwischen nicht mehr zu, bei Veranstaltungen selbst zu sprechen. Ihr Buch „Der Auftrag meiner Mutter“ spricht jedoch für sich. Mit dem Ableben letzter Zeitzeugen gehen die Berichte aus erster Hand verloren. Die weitere Arbeit müssen die „Zweitzeugen“ verantwortungsbewusst übernehmen.
Seit 2016 bemüht sich Hella Wertheims Nachlassverwalterin gemeinsam mit dem Otto-Pankok-Museum Gildehaus darum, die wichtige Erinnerungsarbeit in einem dafür zu schaffenden Anbau leisten zu lassen. Hierfür wurde ein umfassendes Arbeitskonzept verfasst. Neben den Erinnerungsstücken von Frau Wertheim soll der erhoffte Anbau auch Ort der Begegnung, des Dialogs und für Wechselausstellungen sein.
Dass ein mit dem Museum verbundener Bau auch thematisch passend ist, kann unter anderem damit begründet werden, dass der Künstler Otto Pankok und seine Frau Hulda (Journalistin) von der Gedenkstätte Yad Vashem 2013 als „Gerechte unter den Völkern“ geehrt wurden.
Der notwendige Architektenwettbewerb, mit dem Möglichkeiten eines Anbaus an das denkmalgeschützte bestehende Museum ausgelotet werden sollte, fand mit Verzögerung erst in diesem Jahr statt. Neun sehr unterschiedliche, aber jeweils gut durchdachte Vorschläge wurden eingereicht und von einer Jury der Gewinner gekürt. Im Nachklang konnte das Museum die Entwürfe zeigen.
Beitrag im Wettbewerb Präsentation der Wettbewerbsbeiträge
Jetzt bleibt abzuklären und abzuwarten, wie sich die Finzierung gestalten lässt und wann/wie ein Anbau umgesetzt werden kann. Seitens der Politik des Landkreises und auch der Stadt Bad Bentheim besteht der Wille, das Projekt anzugehen.
Blickt man auf die zuletzt wieder deutlich steigenden antisemitischen Übergriffe und das Erstarken politisch rechter Positionen (und sei es unter dem Denkmantel des „Querdenkens“), kann es – meiner Meinung nach – eigentlich nicht schnell genug gehen, bis der Anbau steht und die pädagogische Arbeit aufgenommen werden kann.
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