Als Spätberufene in Sachen Smartphone fand ich es bis vor eineinhalb Jahren befremdlich, wenn Leute mit Smartphone oder Tablet vor Ausstellungsobjekten in Museen herumfuchtelten. Sie schienen mehr das Display als die Objekte im Blick zu haben. Inzwischen habe ich mehrere Museumsbesuche mit Smartphone und den jeweiligen Apps hinter mir. Getestet habe ich u.a. die Apps des Mauritshuis in Den Haag und des Rijksmuseum Amsterdam. Außerdem sammelte ich Erfahrungen mit den Smartphonetouren durch das Rotterdamer Museum Boijmans Van Beuningen und der App zur 2014er Wanderausstellung der World Press Photo Awards. Praktisch fand ich die Tatsache, dass die meisten Museen auch kostenfreies WLAN anbieten, so dass nicht alle Inhalte in einer überdimensionalen App verpackt sind, sondern ein Teil der Audiodateien oder gar weiterführende Videos nur bei Bedarf heruntergeladen werden können.

Anstatt 5-6 Euro für einen geliehenen Audioguide zu bezahlen, kann man sich mit den zumeist kostenlos angebotenen Museumsapps direkt Informationen auf sein eigenes Handy bzw. Tablet packen und sogar später zuhause weitere Inhalte zur Nutzung nachladen. Da kann die oft vereinheitlichte Bedienung von Audioguides oder Podcatchern[1] in den Museen noch so schön gemacht sein, am eigenen Mobiltelefon ist sie vielen Besuchern lieber. Der Einsatz der eigenen Kopfhörer nimmt empfindlichen Personen hierbei den Ekel vor bereits von anderen Besuchern benutzten. Gerade die erste von mir genutzte App zur Wanderausstellung der World Press Photo Awards 2014 ist sehr stark mit Zusatzmedien angereichert und damit weit mehr als nur ein Audioguide im Appformat. Die gesamte App ist in nicht weniger als neun Menüsprachen verfügbar. Sie richtet sich nach den Themenblöcken der Awards und Tafelnummern. Deswegen funktioniert sie unabhängig vom jeweiligen Ausstellungsort, dem Wanderkonzept ideal angepasst. So bekommt ein Besucher nicht nur alle Daten zu den Fotos, die auf den Textwänden zu lesen sind, sondern in vielen Fällen Interviews mit den Fotografen, Videoeinspielungen oder weiteres Bildmaterial. Je nach Interesse an einem Bereich lässt sich damit ein Rundgang sehr eingehend gestalten. Was die App im Nachhinein auch außerhalb der Ausstellung nutzbar macht, ist die Tatsache, dass die App durchsucht werden kann.

Gleiches gilt auch für die folgenden beiden Beispiele: Im Rijksmuseum, wo es eine Vielzahl verschiedener Audiotouren (u.a. lange und kurze Höhepunktetour, Gebäudetouren etc.) gibt, fällt auf, dass sogar für die dreimonatige Rembrandt-Sonderausstellung eine sehr umfassende mehrsprachige Tour zusammengestellt wurde. Zum besseren Vergleich habe ich mir diese erst begleitet vom klassischen Audioguide angeschaut und bin danach mit der inhaltlich identischen App auf dem frisch aufgeladenem Handy (mehr dazu siehe Nachspann) nochmals meine Favoriten angesteuert. Das Aufrufen der Audiodateien zu den Exponaten erfolgt bei App und Guide identisch durch die Eingabe eines am Bild vorgegebenen dreiziffrigen Codes. Klar im Nachteil ist der geliehene Audioguide in den technischen Daten. Das Display hat eine schwächere Auflösung, die Tasten reagieren weniger komfortabel und die Lautstärkeregelung scheint nicht stufenlos möglich.

Im Mauritshuis in Den Haag ist der vollständige Audioguide bislang nur in Englisch und Niederländisch zu haben, aber die vielen Highlights sind in sieben Sprachen beschrieben verfügbar. Auch hier wird nicht gespart an zusätzlichen Informationen oder eingeblendeten Vergleichsbildern. Viele Besucher kommen in das Museum, um ganz bestimmte Bilder, wie Vermeers Mädchen mit dem Perlenohrring bzw. seiner Stadtansicht von Delft zu sehen, denen dann multimedial entsprechend hohe Aufmerksamkeit gewidmet wird. Da das Museum nach langer Schließung mit Umbau erst 2014 wiedereröffnete – ähnlich wie das Rijksmuseum im Jahr davor – ist man darum bemüht, die neusten technischen Möglichkeiten gezielt einzusetzen, ohne die Besucher damit zu überrennen.

Im Museum Boijmans Van Beuningen gab es zum Zeitpunkt meines Besuchs (September 2014) keine App, sondern eine andere praktische Lösung: Die Möglichkeit, per WLAN über die Museumsseite zu vielen Objekten Informationen aufzurufen. Auch hier ist ein Zahlencode notwendig. Gerade bei den Highlights der Dauerausstellung stößt man auf überraschend viele Extras. So gab es für mich z.B. neben der Standardseite zu Pieter Bruegels berühmten Turm von Babel (1565) eine Vielzahl an Zusatzdateien wie Videos zu entdecken. Alles in allem genieße ich die neuen Möglichkeiten, mir durch die Apps bei Bedarf zusätzliche Informationen einzuholen, gemütlich von Werk zu Werk zu schlendern und mein eigenes Tempo haben zu dürfen. Das bereichert das Erleben einer Ausstellung oder eines Museums für mich erheblich. Trotzdem möchte ich keinesfalls darauf verzichten, weiterhin auch Führungen mitzumachen, wenn gerade eine angeboten wird. Sie ermöglichen es mir, aufkommende Fragen zu stellen oder über die rein sachlichen Ebenen von Werken hinaus etwas zu hören. Es macht für mich einen großen Unterschied, ob ein professioneller Sprecher im Audioguide einen vorgefertigten Text zum Besten gibt oder ein menschlicher Museumsführer vor mir steht. Letztere können mich mehr mitreißen, die emotionale Seite einer Sache hervorheben oder Wissen vertiefender vermitteln. Nachspann: Im ersten Teil habe ich zwei Teilthemen ausgelassen, die ich hier als Nachspann einbringe: Ich hatte zum ersten Mal zwei erschreckend befremdliche Begegnungen mit Personen, die von den Ausstellungsinhalten wenig mitzubekommen schienen: Ihr Hauptaugenmerk lag darauf, sich permanent irgendwo und irgendwie vor möglichst bekannten Ausstellungsobjekten per Selfiestick abzulichten. Im großen Saal der Hermitage drehte eine Frau im Kreis laufend per Stick ein Video. In der extrem überfüllten Sonderausstellung „Late Rembrandt“ im Rijksmuseum war ein Aufsichtführender damit beschäftigt, mit freundlichem aber bestimmtem Ton einem Herrn gleich zwei Mal diese Form der Selbstdarstellung zu untersagen. So sehr einige Museen bei Twitter das #MuseumSelfie als „Ich war da“-Beweis und Werbung einfordern, ist es doch bei großem Andrang vor allem eine Belastung für alle Umstehenden. Die Thematik sollte aufgrund der Zweischneidigkeit meiner Meinung nach von den Museen eingehend diskutiert werden.

Aufladestation
Aufladestation

Eine wunderbare neue Entdeckung, die ich mir auch für weitere Museen wünschen würde, ist die Smartphoneladestation! Im Rijksmuseum sah ich zwei davon, eine im Hauptgebäude und eine im Seitentrakt für Sonderausstellungen. Sponsor ist die kpn (Königliche Niederländische Post und Telefongesellschaft), die einer der großen Geldgeber des Museums ist. Besucher können ihr Smartphone in abschließbaren Fächern ablegen, die Ladekabel für iPhone und/oder den Micro-USB Standard besitzen. Das Telefon wird dann gratis 30 Minuten lang geladen, danach schaltet sich die Stromzufuhr ab. In der Zwischenzeit kann man in die Ausstellung, den Museumsshop oder das hausinterne Café gehen. Da ich mich in beiden Gebäudeteilen bewegte, ließ ich es mir nicht nehmen, auch den zweiten Schrank zu inspizieren und zu nutzen. Meiner Beobachtung nach sind viele Besucher sehr an der Neuerung interessiert und das Angebot wird gut angenommen. Da überraschend viele Besucher mit großem Tablet statt mit Smartphone durch das Museum laufen, würde es mich nicht wundern, wenn die Ladeschränke in absehbarer Zeit auch dafür Fächer bekommen. Ein kleines 7-Zoll Tablet bzw. einen E-Book Reader gleicher Größe kann man eventuell schräg in die bestehenden Schrankfächer bugsieren. Mir fehlte die Möglichkeit, das auszutesten.

[1]          Keine Podcatcher-App für das Handy, sondern displaylose Audioguides, die an Stationen einer Ausstellung an einen Sendepunkt gehalten werden und dann die entsprechende Datei abspielen. Sie sind in vielen niederländischen Museen üblich.

Birgit Baumann
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