Wenn ich ehrlich sein soll: Ich bin in den letzten Monaten oft müde! Ich bin unendlich müde vom Internet, von all den Onlineveranstaltungen. Alles musste plötzlich entweder online gehen oder ganz ausfallen.
Frust gab es bei den ewigen Chorproben per Zoom mit vor sich hin bröckelnder Teilnehmerzahl und wegen zwangsweise ausfallenden Yogakursen. Sorry, aber Verrenken nach YouTube-Videos funktioniert bei mir nicht.
Die wegfallenden Programmkinoabende des von mir mit ins Leben gerufenen Filmclubs fehlen mir seit März genau wie die schönen Kleinkonzerte in der kulturaffinen Stammkneipe. Meine Burgführungen: zwangsweise auf Eis liegend. Alles drei Dinge, die man nicht durch “irgendwas aus dem Netz” ersetzen kann.
Mein Job plätschert ein wenig dahin. Unter anderem galt es, eine Website zum regionalen Kulturerbe mit Inhalten zu füllen und zeitgleich darum zu bangen, dass die von mir dafür mit zu steuernden kleinen Kulturprojekte nicht Abstandsregeln und anderen Maßnahmen zum Opfer fallen. Teilweise ist ein Umdenken erforderlich, wie sich Themen anders umsetzen lassen, ohne ihre finanzielle Förderung zu verlieren. Da ich fast nur mit Einzelpersonen telefonieren muss, bleibt mir bislang die Onlinemeetingdauerschleife erspart, die andere durchleben. Ich verstehe natürlich: Besprechungen „auf Abstand“ online abzuhalten, ist praktisch. Das erspart Fahrtkosten, ist ortsunabhängig und Termine lassen sich ohne Fahrtzeiten spontaner einberufen.
Wo sind die Konzerte hin?
Das Umschwenken einiger Musiker auf kleine Facebook- und/oder YouTube- bzw. Instagramauftritte mit PayPal-Links für freiwillige Spenden bietet zumindest einen gewissen Konzertcharakter. Dafür habe ich gerne Geld in den virtuellen Hut geworfen. Eine Art gemütliches Beisammensein mit Liedwünschen, die man nicht in den Raum rief, sondern in den Chat tippte.
Es hinterließ bei mir trotzdem den Nachgeschmack, letztlich doch alleine vor dem Rechner zu sitzen und nicht wirklich mit anderen zusammen zu lauschen, anzustoßen, zu applaudieren. Musiker äußerten sich ihrerseits über das befremdliche Gefühl, nicht mit einem Publikum im Raum interagieren zu können, sondern Kommentare auf Bildschirmen zu lesen und in die Kamera zu antworten. Für viele Künstler unterschiedlicher Sparten ist inzwischen die Plattform Patreon nahezu einziger Weg neben eventuellem Buch- oder CD-Verkauf, überhaupt etwas Geld verdienen zu können. Dazu äußerte sich sehr deutlich z.B. auch Poetry Slammer Alexander Bach.
Ausstellungen digital
Einige Wochen lang war es abends anstelle meiner sonstigen regelmäßigen Abendtermine unterhaltsam, viel an Kultur online serviert zu bekommen. Tipps dazu wurden in diversen Blogs und Serviceseiten zusammengestellt. Ich habe mich durch die ein oder andere virtuelle Museumsführung geklickt. Eine Reihe von Museen erkannte offenbar erstmals, dass man sich mit Onlineangeboten auch neues Publikum zu erschließen versuchen kann und machte sich kreativ an die Arbeit.
Nett ist das alles durchaus, aber es ersetzt den realen Besuch von Museen und Veranstaltungen für mich einfach nicht. Es bleibt vornehmlich eine Spielerei und vor allem eine fabelhafte Hilfe für all jene, die aus unterschiedlichen Gründen ein Museum nicht besuchen können.
Für mich bekamen die Möglichkeiten etwas von stumpfer Beliebigkeit, denn *schwupp* ein kleines www später… und schon ist die Ausstellung im eigenen Arbeitszimmer. Das Museum verliert den Status, ein Ort zu sein, zu dem ich mich bewusst begebe, auch um den nötigen Abstand zum Alltag zu erleben.
Digitales ausprobieren
Ich habe mich an verschiedenen Onlinechorprojekten beteiligt, was zumindest ein kleines Gefühl von Gemeinschaftsaktion ergab. Man bekam nach Anmeldung Noten oder Texte und Übungsdateien, erarbeitete sich die verschiedenen Songs selbst. Am Ende überwand man sich auch als Selfiehasser dazu, beim Singen ein Video aufzunehmen, es einzusenden und auf den Zusammenschnitt zu warten. Das ist aber nichts im Vergleich zum echten gemeinsamen Gesang. Den erlebe ich beim Balkonchor in meiner Nachbarschaft, der seit Mitte März 2x pro Woche 20-30 Minuten gemeinsam auf Abstand singt. Die Sänger sind zumeist 80+ und leben in einer Häuserzeile mit altengerechten Wohnungen, sie sind gerührt von den Möglichkeiten, so aus ihrer weitreichenden Isolation heraus an etwas teilhaben zu können. Singen ist bekanntermaßen auch gut für das seelische Gleichgewicht.
Da ist es einmal mehr: Das ECHTE, das ich bei anderen Dingen vermisste, die nur online laufen oder liefen. Der eigentliche Chor, in dem ich seit fast sechs Jahren mitsinge, hat gerade seine ersten zwei Frischluftproben absolviert und Zoom (vorerst) eingemottet. Auch wenn der Klang im großen Abstand „vom Winde verweht“, genießen meiner Einschätzung nach alle das wiedergewonnene Gruppengefühl.
Zurück ins Museum
Am Pfingstsonntag konnte ich erstmals wieder ins Museum – als ehrenamtliche Aufsichtskraft. Die Besucher genossen es, sich mit Kunst umgeben zu können, sich frei zu bewegen und Neues zu entdecken. Kurzum: Kultur fernab des Bildschirms zu erleben.
Ende Juni kam ich dann selbst in den Besuchsgenuss und schaute mir die neugestaltete Dauerausstellung der Kunsthalle Bremen an. Es war sehr angenehm leer. Keiner murrte über die Maskentragepflicht. Knapp dreieinhalb Stunden habe ich im Museum zugebracht und es genossen, gemütlich durch die großen Räume flanierend von Kunstwerk zu Kunstwerk zu streifen. Selbst Bilder, die mir eigentlich weniger sagten, habe ich mir fast sehnsuchtsvoll angeschaut und auch versucht, ihren Kontext innerhalb der neuen Raumthemen zu verstehen. Zu meinem Leidwesen sind mit den Museumsöffnungen übrigens auch die zurück: Kleingruppen, die in Normallautstärke (und gerade bei der geringen Besucherzahl erheblich weit klingend) jedes Bild kommentieren und sich die Namen von Künstler*innen und Werktitel laut vorlesen. Aber das blieb der einzige Störfaktor. Zu früh war ich allerdings für die Ausstellung zu einer tollen niedrigschwelligen Aktion, deren Grundidee auf dem seit Monaten populären Instagramaccount Tussenkunstenquarantaine fußt: Das Nachstellen von Kunstwerken mit möglichst wenigen Mitteln. Die Kunsthalle hatte dazu aufgerufen für „Und jetzt Du!“ Werke aus dem Museum nachzustellen. Eine Auswahl der Fotoergebnisse ist nun zu sehen.
Aus zeitlichen Gründen nicht erfolgt ist bisher ein Besuch in einem niederländischen Museum. Ich wollte gerne vergleichend erleben, wie ein Besuch in engeren Räumlichkeiten und nur mit Abstandsregeln, aber ohne Maskenpflicht aussieht. Ausgesucht habe ich mir dafür das Palthehuis in Oldenzaal, das ich nur vor seiner völligen Neukonzeption und Umgestaltung von 2017 kannte. Das wird möglichst bald nachgeholt, genau wie ein Besuch in der Nieuwe Kerk Amsterdam, wo derzeit die diesjährige (und immer sehenswerte) Ausstellung der Gewinnerbilder des World Press Photo Awards zu sehen ist. Das wird dann bei Facebook in der Rubrik „Kultur hoch N unterwegs“ erscheinen.
Ich bin froh, dass einiges weg geht von „nur digital“ und schrittweise wieder Kultur „in echt“ erlebbar wird. Sicherlich werde ich trotzdem das ein oder andere digitale Angebot auch weiterhin nutzen und bin dankbar für diverse Onlineentdeckungen, die ich sonst nicht gemacht hätte.
- Das Museum der drei Diamanten - 15. Oktober 2022
- Kling, Fahrradglöcklein! - 23. Mai 2022
- Mehr als nur Moor - 20. Februar 2022
Liebe Birgit,
vielen Dank für den amüsant geschriebenen Einblick in dein Leben in Zeiten von Corona … und dass es alles andere als amüsant ist, wurde ebenso deutlich. Die vielen interessanten Links habe ich mit Genuss gelesen und angesehen und sie haben mir Lust auf verschiedene Orte gemacht: z.B. auf deine Stammkneipe und die Kunsthalle Bremen.
Ich selbst war am vergangenen Wochenende in der Hamburger Kunsthalle in der, bis zum 2. August verlängerten, Ausstellung „Trauern – Von Verlust und Veränderung“, die meiner Einschätzung nach sehr lohnenswert ist. Das Wissen darum, dass es eine wiedergewonnene Echtzeit-Erfahrung ist, hat es umso kostbarer für mich gemacht!
Herzliche Grüße,
Petra
Hallo Petra,
lieb, dass Du auf meinen Beitrag reagierst und gleich dazu noch einen interessanten Ausstellungstipp lieferst. Das Thema hätte ich auch gereizt. Zeitlich werde ich es aber nicht schaffen, mir die anzusehen,