Nachdem das „böse Wort mit B“ nun vergessen ist, wird es Zeit, eine Alternative vorzustellen. Im ersten Teil war die Rede davon, dass Museen bzw. Kulturbetriebe allgemein, neue Erfahrungsräume erschließen müssen, um die Menschen zu erreichen.

Ausgehend vom musealen Erfahrungsraum, kann man die Vermittlung auch außerhalb des Museums betreiben. Die Inhalte sind nicht an den Erfahrungsraum “Dauerausstellung” gebunden.

Kultur hat viel mit Wahrnehmung zu tun. Wenn Kultur in einem Raum als „fremd“ begriffen wird, wird kein Zugang zur Kultur stattfinden. Also muss sich die Kultur an die neuen Erfahrungsräume anpassen. Vergleichbar ist dies mit einem Medienwechsel z.B. von Buch zu Film: Auf der einen Ebene verliert man etwas, aber dafür gewinnt man auf der anderen Ebene Neues hinzu. Ein Transfer von einem Medium zum anderen, von einem Erfahrungsraum zum nächsten, fügt den Inhalten neue Facetten hinzu, vernachlässigt vorherige Schwerpunkte, um neue zu setzen. Die Menschen müssen von der Kultur in ihren individuellen Lebens- und Erfahrungsräumen abgeholt werden. In der Pädagogik ist dies keine neue Erkenntnis, in der Kultur eigentlich auch nicht. Schließlich sind viele Erfahrungsräume kulturelle Erfahrungsräume, im engen und weiteren Sinne. Auch Museen haben dies grundsätzlich begriffen, nicht umsonst gibt es Angebote speziell zugeschnitten auf den Erfahrungsraum von Kindern. Was aber wirklich fehlt, ist die Vereinnahmung von Räumen außerhalb der eigenen Museumswände.

Welche Erfahrungsräume können Museen besetzen?

Es gibt eine große Bandbreite an möglichen Erfahrungsräumen, die durch Museen besetzt werden können. Gerade die nicht mehr ganz so neuen „Neuen Medien“ bieten hier eine hohe Bandbreite, darunter: Blogs, YouTube/Vimeo, Soziale Netzwerke, Pinterest, Instagram, Tumblr, ja sogar die Welt der Spiele könnten von Museen eingenommen werden. Welche Erfahrungsräume genau in Angriff genommen werden, hängt dabei stark von den Museen ab. Experimentierfreudigkeit, technische Ausstattung/Möglichkeiten und natürlich auch das zur Verfügung stehende Personal sind hier wichtige Faktoren. Der wichtige Punkt ist aber, dass die Museen ernsthaft bemüht sind, Erfahrungs- bzw. Vermittlungsräume außerhalb des Museums zu erschließen. Und genau dies wäre auch eine Alternative zur Kennziffer „Besucherzahlen“: die Vermittlungskennziffer.

Vermittlung als Kennziffer

Zur Erinnerung noch einmal die Definition von Vermittlung, wie sie der Museumsbund vorlegt:

Vermittlungsarbeit im Museum gestaltet den Dialog zwischen den Besuchern und den Objekten und Inhalten in Museen und Ausstellungen. Sie veranschaulicht Inhalte, wirft Fragen auf, provoziert, stimuliert und eröffnet neue Horizonte. Sie richtet sich an alle Besucher/innen und versetzt sie in die Lage, in vielfältiger Weise vom Museum und seinen Inhalten zu profitieren, das Museum als Wissensspeicher und Erlebnisort selbständig zu nutzen und zu reflektieren. Vermittlungsarbeit ist integraler Bestandteil der Institution Museum und realisiert maßgeblich und nachhaltig ihren Bildungsauftrag.

Schon ein paar Änderungen machen deutlich, wie man auf den Weg zu einer „Vermittlungskennziffer“ gelangt: Vermittlungsarbeit von Museen gestaltet den Dialog zwischen den Besuchern und den Objekten, Inhalten und Kompetenzen der Museen. Sie veranschaulicht Inhalte, wirft Fragen auf, provoziert, stimuliert und eröffnet neue Horizonte. Sie richtet sich an alle Menschen und versetzt sie in die Lage, in vielfältiger Weise vom Museum und seinen Schwerpunkten zu profitieren, das Museum als Wissensspeicher und -vermittler zu begreifen, zu nutzen und zu reflektieren. Vermittlungsarbeit ist integraler Bestandteil der Institution Museum und realisiert maßgeblich und nachhaltig ihren Bildungsauftrag. Diese Definition von Vermittlung löst die Vermittlung von der Zielgruppe „Besucher“ und dem tatsächlichen, physikalischen Ort des Museums. Und damit eröffnen sich neue Möglichkeiten, die man zumindest annähernd messen bzw. als Kennziffer nutzen kann.

„Wie sehr bemühen sich Museen um Vermittlung?“ ist die Leitfrage, die man mit einer Vermittlungskennziffer näher beleuchten könnte. Dabei ist nicht nur die Vermittlung direkt in den Museen gemeint. Diese Vermittlung ist nur ein Teil. Vielmehr müsste die Vermittlungskennziffer genau beleuchten, welche Kanäle/Erfahrungsräume das Museum zusätzlich bespielt. Ein paar Beispiele, die natürlich nicht auf jedes Museum 1:1 anwendbar sind:

  • gibt es „museal“ begleitete Stadtrundgänge oder sind die Stadtführungen losgelöst vom Museum?
  • gibt es medial aufbereitete Inhalte für verschiedene Ziel- und Altersgruppen? Beispiele wären hier: YouTube, Apps, Comics, Dokumentationen, Medienstationen in der Ausstellung
  • gibt es (wissenschaftliche) Publikationen zur Ergänzung des musealen Angebotes und wie werden diese vertrieben?
  • gibt es Vermittlungsangebote, die verschiedene Zielgruppen, zum Beispiel SchülerInnen, SeniorInnen, außerhalb und innerhalb des Museums wahrnehmen können?
  • gibt es Forschungsprojekte?
  • wer sind die Kooperationspartner und wie werden diese für die Vermittlung genutzt?

Die Liste ist nicht vollständig, gerade Spezialmuseen finden hier sicher noch weitere Möglichkeiten. Die Liste zeigt aber auch, dass in die Vermittlungskennziffer noch viele weitere Bereiche einfließen, die man ggfs. sogar noch als eigene „Kennziffern“ etablieren könnte:

  • Anzahl und Form von Kooperationen
  • Forschung
  • Marketing
  • Medieneinsatz

Bevor man neue Kanäle/Erfahrungsräume kennenlernen und besetzen kann, muss man natürlich erst einmal den Willen haben, dies auch tatsächlich erfahren zu wollen. Nichts ist schlimmer, als etwas zu tun, weil man „es heute halt machen muss“. Niemand kann auf lange Zeit gesehen Dinge tun, die ihm keinen Spaß machen und dabei das Gefühl bei den Adressaten erwecken, dass sie es mit jemandem zu tun haben, der für sein Thema brennt. Auch dies sind Faktoren, die Museen schon lange bekannt sind und trotzdem hat man bei so manchem Facebook-Auftritt, bei so mancher Homepage, bei manchem Audioguide, bei mancher Medienstation oder bei anderen „Experimenten“ das Gefühl, dass es von Anfang an eine Totgeburt war, weil kein Herzblut in der Sache steckte. Wer aber den unbedingten Willen auf neue Erfahrungen mitbringt, wer Lust an Neuem hat, der wird trotz Startschwierigkeiten Erfolg haben. Er muss nur etwas zu erzählen haben.

Geschichten erzählen

„Museen erzählen schon immer Geschichten.“ Ob Museen tatsächlich Geschichten erzählen oder Geschichte erzählen, steht auf einem anderen Blatt, auch wenn die Diskussion garantiert interessant ist. Jedenfalls sind die Geschichten, die erzählt werden können und erzählt werden wollen, wunderbar zur Erschließung der Erfahrungsräume von Menschen geeignet. Wenn ich Geschichten erzählen kann – und man kann immer Geschichten erzählen -, dann kann ich andere für mein Thema begeistern. Dann kann ich Inhalte vermitteln. Wenn ich meine Geschichten allerdings außerhalb der Ausstellung, außerhalb der von mir vorbereiteten Präsentation erzähle, gebe ich auch einen Teil meiner Kontrolle auf. Das ist für viele Museen und andere Kulturbetriebe ein Problem, denn jahrelang hatten sie die Definitionsmacht. Und jetzt sollen plötzlich die Menschen außerhalb des Museums einen Teil dieser Macht bekommen? Wer sich außerhalb des „eigenen“ Bereiches bewegt, bietet auch mehr Fläche für positives und negatives Feedback, für Kommentare zu Inhalt und Durchführung.

Und was ist mit meinen Besuchern?

Die bis hierher kurz skizzierten Möglichkeiten, Vermittlung auch außerhalb des Museums zu betreiben, schließt in einigen Teilen die Menschen mit ein, die tatsächlich ins Museum gehen. All diejenigen, die Vermittlung außerhalb des Museums wahrnehmen, kann man bis zu einem gewissen Grade auch zählen (Klickzahlen, Downloads, Buchverkäufe, Buchungen usw.) und zum Monitoring ist dies auch wichtig. Aber eben nur zum Monitoring, zur Justierung dessen, was ich anbiete. Reichweitenmessung, Klickzahlen & Co. bieten für sich genommen wenig Anhaltspunkte darüber, wie gut oder schlecht der Inhalt ist. Hätten diese Zahlen eine so große Aussagekraft, dann würden wir alle im Internet nur noch Katzenvideos gucken, Talkshows gucken und BILD-Zeitung lesen. Als ein Indikator unter anderen können diese Zahlen genutzt werden, vornehmlich für den internen Gebrauch, da sie eine gewisse Steuerung und Feinjustierung der Inhalte ermöglichen. Mehr nicht.

Trotzdem steht es natürlich außer Frage, dass ein gutes Vermittlungsangebot auch mehr Besucher nach sich zieht. Die Menschen werden auf das eigentliche Museum neugierig gemacht. Dies ist aber ein angenehmer Nebeneffekt und sollte nicht als Ziel angesehen werden. Ziel sollte die Vermittlung von Inhalten, die Bewahrung eines kulturellen Erbes u.ä. sein.

Im nächsten Teil werde ich einzelne „best practice“ Beispiele für Vermittlung außerhalb des Museums aufzeigen. Gerade im digitalen Bereich tut sich hier in den letzten Monaten einiges. Sei es die Aktion zum Internationalen Museumstag, die Invasioni Digitali, über die auch die Kulturkonsorten als „offizielle Botschafter“ ausführlich berichten oder ähnliche Bestrebungen, Kulturgut einer breiten Masse zugänglich zu machen. Diese Beispiele und ihre Bedeutung für eine „Vermittlungskennziffer“ werde ich demnächst näher beleuchten. Bis dahin freue ich mich über Kommentare, Hinweise, Kritik und eine ausführliche Diskussion.

Claus Hock
Going Social

2 thoughts on “Wider die Besucherzahlen! (Teil 2)”

  1. Hallo,
    vorweg: ein sehr interessanter Beitrag! Für mich (als Museumsbesucherin, nicht jemand ‚vom Fach‘) steht neben einer ansprechenden Wissensvermittlung immer die Interaktion im Vordergrund. Als Besucher möchte man im Museum heute nicht mehr ausschließlich Wissen präsentiert bekommen, sondern die Möglichkeit haben, sich z.B. an Diskussionen zu bestimmten Themen individuell zu beteiligen. Das geht natürlich prima über die genannten Medien, sollte aber möglichst immer auch direkt in der Ausstellung ermöglicht werden.
    Um für Museen und andere kulturelle Einrichtungen zu werben, sind Veranstaltungen wie die Extraschicht im Ruhrgebiet oder Tage der offenen Tür aus meiner Sicht in ihrer Wirkung kaum zu unterschätzen – schließlich wird man so auf Angebote aufmerksam, die man vorher schlicht nicht wahrgenommen hat (und kommt wieder, um sich dann nochmals alles in Ruhe anzuschauen). Ich frage mich, warum solche Veranstaltungen nur einmal im Jahr stattfinden und dann leider häufig völlig überlaufen sind…
    VLG
    Lisa

    1. Als Besucher möchte man im Museum heute nicht mehr ausschließlich Wissen präsentiert bekommen, sondern die Möglichkeit haben, sich z.B. an Diskussionen zu bestimmten Themen individuell zu beteiligen. Das geht natürlich prima über die genannten Medien, sollte aber möglichst immer auch direkt in der Ausstellung ermöglicht werden.

      Das finde ich spannend. Wie könnte man den BesucherInnen direkt in der Ausstellung an Diskussionen beteiligen?

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