Kultur und Corona? Eigentlich kann dieses Thema ja keiner mehr hören, da es zwingend und leider oftmals zu Recht mit Existenzsorgen von Einzelpersonen oder Institutionen verbunden ist. An den Institutionen hängen dann natürlich auch wieder Einzelschicksale. Hinreichend – gleichwohl bis jetzt wenig erfolgreich – sind hierzu Klagen der Kulturbranche zu lesen.
Coronaalltag bei einem Kulturveranstalter
Hier soll der Schwerpunkt nun aber auf dem jetzt neuen Alltag liegen. Für mich, die beruflich wie auch privat fast ausschließlich kulturell tätig ist, bedeutet die Krise eine einschneidende Veränderung.
Zunächst zum beruflichen Part. Ich arbeite für einen Kulturverein, der Musikkurse für unterschiedliche Zielgruppen anbietet. Angesprochen sind Laienmusiker oder Laiensänger. Damit sind wir auch schon mitten im Problem. Unsere Kurse finden in Tagungshäusern oder Jugendherbergen statt – seit März sämtlich geschlossen. Kein Tagungshaus, kein Kurs. Anfang Juni öffneten die ersten Tagungshäuser wieder, große Freude bei uns. Zu früh gefreut. Die diversen Hygienevorschriften und Abstandsregeln zwangen manche Häuser dazu, unsere Kurse abzusagen. Man befürchtete, sie nicht einhalten zu können. An anderer Stelle lehnten die Vertragspartner die Durchführung unserer Veranstaltung mehr oder weniger grundlos ab.
Zu den praktischen Problemen wie Abstände kamen Verordnungen der Länder, die das Singen untersagten, ein Verbot für Holzbläser, eins für Blechbläser o. ä.. Und als ob das nicht schlimm genug wäre, gilt in jedem Bundesland etwas anderes (unsere Kurse finden bundesweit statt) und es ändert sich alle zwei Wochen. Eine Normalität ist nicht in Sicht. Immerhin sind inzwischen Blasinstrumente wieder erlaubt. Sogar Chorsingen ist in Innenräumen wieder zugelassen – zumindest in Niedersachsen und Bayern. Wie es sich in den anderen Ländern verhält, ist mir nicht bekannt. Für unsere Chorwochen kommen die Entwicklungen zu spät. Man kann den Teilnehmern unmöglich erst wenige Tage vor Kursbeginn „grünes Licht“ geben. Viele Sänger bedauerten dies ausdrücklich. Die Abmeldungen gerade in diesem Bereich hielten sich sehr in Grenzen.
Seit Jahren lässt sich die Tendenz feststellen, dass Anmeldungen immer kurzfristiger eingehen. Das gilt in diesem Jahr auch ganz extrem für die Abmeldungen. Plötzlich dämmert den Leuten die Erkenntnis, dass Gefährlichkeit von Querflötenspiel auch bedenkenswert ist und dass sie zur Hoch-Risikogruppe gehören. Nur Risiko genügt nicht. Beides wissen sie schon seit Wochen, lassen uns die damit verbundene Abmeldung aber erst kurz vor Kursbeginn zuteilwerden. Als ob das Virus gestern erst vom Himmel gefallen wäre!
Erstmals führten wir einen Kurs digital durch und das ausgerechnet mit Renaissancemusik. Viel weiter könnte die zeitliche Spanne zwischen praktizierter Musik und Durchführungsform nicht sein. Das ermöglichte Teilnehmern aus der gesamten Bundesrepublik und auch aus Österreich teilzunehmen. Eine Kursform, die man im Blick behalten sollte, zumal Dozententeam und Teilnehmer begeistert waren. Sie kann keinesfalls analoge Kurse ersetzen, ist aber eine schöne Ergänzung. Was sich Unbeteiligten auf den ersten Blick nicht zwingend erschließt, ist das gesellige Miteinander bei Musikkursen. Viele Teilnehmer kennen sich seit Jahren, kommen wegen der anderen Musiker oder auch wegen der Tagungshäuser. Die Musikwoche ist für sie eine „feste Institution“ im Jahresablauf. Dazu gehört aber eben auch, sie direkt und mit anderen zu erleben.
Das gefährlichste Hobby der Welt
Privat bin ich sowohl aktiv wie auch passiv musisch tätig. Aktiv in verschiedenen Chören, passiv als Rezensentin klassischer Konzerte für die regionale Zeitung. Mein sonst gut gefüllter Terminkalender zeigte plötzlich eine erschreckende Leere. Speziell mein Chor fehlte mir extrem. Unser Chorleiter versuchte per Zoom-Meeting Kontakt mit uns und zwischen uns zu schaffen. Das war zwar nicht zu vergleichen mit gemeinsamem Singen, aber besser als nichts. Seit Ende Mai durften Chorproben wieder in Quartetten stattfinden. Wer das in die Verordnung schrieb, hat keine Ahnung vom Chorsingen. Ein Quartett ist kein Chor! Mit detaillierten Listen und komplizierten Lüftungsvorschriften duften immer vier Personen für 20 Minuten singen. Auch da kann man nur sagen: besser als nichts. Ebenso sangen wir neulich als Quintett im Gottesdienst sämtliche Gemeindelieder, da die Gemeinde ja noch nicht singen darf. Der allgemeine Tenor des Quintetts lautete: Das tat gut! Auch die Gemeinde zeigte sich hocherfreut und sehr dankbar.
Die Kirchengemeinde St. Marien in Osnabrück rief zu Musikpaten auf. Ziel ist es, freischaffenden Musikern eine Einnahme zu ermöglichen. Gemeindemitglieder konnten bestimmte Geldsummen spenden, von denen dann Kammer-Ensembles bezahlt werden können, die den Gottesdienst musikalisch ausgestalten. Diese Idee fand so viel Zuspruch, dass sämtliche Gottesdienste bis Jahresende musikalisch ausgefüllt sind. Offenbar bin ich nicht die Einzige, der Musik wichtig ist und gerade sehr fehlt.
Wie viel Normalität ist bisher erreicht?
Umso mehr freu‘ ich mich, dass der Orgelsommer in unserer Hauptkirche wieder stattfinden darf. Sechs Orgelkonzerte dürfen die Zuhörer in den Sommerferien genießen. Weil selbst in eine große Kirche nicht viele Leute hineindürfen, werden die Konzerte nach draußen übertragen. Liegestühle stehen bereit. Die Resonanz war äußerst positiv. Diese Konzerte sind für mich wieder der erste Einsatz als Rezensentin seit März.
Sämtliche großen Chorkonzerte für das 2. Halbjahr sind natürlich abgesagt worden, was für mich weder singen noch rezensieren bedeutet. Von Normalität kann also noch kaum die Rede sein. Zumindest ist man (kulturell) nicht mehr komplett von der Außenwelt abgeschnitten und das Gefühl auf einem Trockendock zu sitzen, lässt allmählich nach.
Der Beitrag ist Teil der gemeinsamen Blogparade #KulturAlltagCorona von Kultur hoch N und Zeilenabstand.net.
- Zwischen Enttäuschung und Hoffen - 30. Juli 2020
- Musik-Festivals im ländlichen Raum – ein Blick ins Osnabrücker Land - 10. Mai 2018
Liebe Irina,
dein Blogbeitrag hat noch einmal vor Augen geführt, wie einschneidend die Pandemie den kulturellen Bereich getroffen und „lahm gelegt“ hat. Kultur, in welcher Form auch immer, ist geistige Nahrung, aber auch eine Möglichkeit, um soziale Kontakte zu pflegen. Die Kultur-Branche war in den letzten Wochen sehr innovativ, trotzdem ziehen wahrscheinlich viele Menschen reale Begegnungen einem virtuellen Event vor. Beide Seiten, Veranstalter und „Konsument“ erleben hierbei das kulturelle Angebot eventuell intensiver, weil eine sofortige Resonanz möglich ist und man schneller auf das Feedback reagieren kann.
Ich weiß, wie sehr dir das Singen gefehlt hat! Gab es für dich nach den leichten Lockerungen der Corona-Verordnungen die Möglichkeit, um sich im kleinen Kreis zum Singen zu treffen? Ich kenne das noch aus früheren Zeiten, dass man sich zur „Hausmusik“ zusammen fand, musizierte und die gesellige Runde einfach genoss.
Liebe Andrea,
es ist toll, wie kreativ viele Musiker jetzt mit digitalen Medien umgehen. Allerdings gehöre ich auch zu denen, die immer ein Live-Konzert einem virtuellen vorziehen würden. DVD oder youtube sind da ein schwacher Trost.
Nachdem Singen nicht mehr komplett verboten war, hatte ich eine open-air-Probe und ein Quintett-Singen in einer Kirche, nachdem auch das wieder erlaubt war. Die Sängerinnen der open-air-Probe waren sich einig: besser als nichts. Das gleiche galt für das Quintett. Hoffen wir, dass die aktuelle Feier- und Demonstrationswut nicht zu erneuten Verschärfungen führt!